Neuer NPD-Chef kommt aus gewaltbereiter Szene. OB Weil fordert Verbotsverfahren.
Neonazis machen mobil: Die Region Hannover wird zunehmend Aktionsschwerpunkt für gewaltbereite Rechtsextreme. Zuletzt am Freitag.
VON VERA KÖNIG
HANNOVER. Sie treffen sich vor Baumärkten oder an Tankstellen. Regelmäßig, einmal im Monat. Wo genau der „Stammtisch Nationaler Kräfte“ tagt, wird geheimgehalten. 50 bis 100 Neonazis kommen zu dem ideologischen Drill. Mal ist Thorsten Heise zu Gast, Bundesvorstandsmitglied der NPD und vom Verfassungsschutz als Neonazi eingestuft, mal der Hamburger Neonazi Christian Worch oder Thomas Wulff, der sich nach einem Obergruppenführer der Waffen-SS selbst „Steiner“ nennt.
Freitagabend hat sich der „Stammtisch Nationaler Kräfte“ erneut getroffen. Von einer Tankstelle in Zoonähe aus startete der Autokorso, wahrscheinlich auch mit ein paar Zivilfahndern der Polizei und Aktiven aus der Antifa-Szene. Die hatten 2006 entdeckt, dass sich die rechtsextreme Szene damals heimlich in der Klubgaststätte von Hannover 96 in der Clausewitzstraße traf.
Diesmal blieb der Ort geheim. Noch. Ebenso wie noch nicht bekannt ist, ob Hannovers neuer NPD-Chef zu den Teilnehmern zählte. Marc Oliver Matuszewski ist als Anhänger des „Stammtisches Nationaler Kräfte“ auch der Polizei bekannt. Der 25-Jährige kommt nach NP-Informationen aus der Szene der sogenannten freien Kameradschaften. „Das ist durchaus möglich“, sagt dazu NPD-Landeschef Ulrich Eigenfeld.
Experten nennen die zunehmende Nähe zu den freien Kameradschaften schon ein Indiz dafür, dass die NPD immer gewaltbereiter wird. Eigenfeld wollte – von der NP darauf angesprochen – dazu nichts sagen. „Die Parteiarbeit in Hannover ist sehr mangelhaft“, ließ er nur zögerlich Kritik erkennen. Alte Mitglieder machten „zu wenig eigene Arbeit“. Freie Kameradschaften nutzten das Vakuum.
„Die personelle Konstellation bestätigt den Verdacht, den viele haben: Dass die NPD im engen Kontakt zu gewaltbereiten rechtsextremistischen Kreisen steht“, sagt Oberbürgermeister Stephan Weil. Die Notwendigkeit eines NPD-Verbotsverfahrens werde durch die Entwicklung in Hannover noch deutlicher gemacht. Wahrscheinlich wird die Politik darüber spätestens nach dem 1. Mai diskutieren – dem Tag, für den auch die Rechtsextremisten zum „Arbeiterkampftag“ in Hannover aufrufen.
Bündnis will am 1. Mai die Neonazis bei ihrer Demo einkesseln
HANNOVER. Die alte Gesinnung, aber moderne Methoden: Selbst auf der Videoplattform „youtube“ werben Neonazis für die Großdemonstration am 1. Mai in Hannover. Ein Rechtsextremist aus Celle hatte den Aufmarsch angekündigt.
Die sogenannten Nationalen Sozialisten wollen sich ab zwölf Uhr am Hauptbahnhof oder dem ZOB treffen. Einzelheiten geben sie nur über ein Infotelefon bekannt. Erwartet werden mehr als 1000 Teilnehmer. Von der City aus ist der Marsch bis nach Linden geplant.
Wahrscheinlich werden mehrere Hundertschaften Polizei im Einsatz sein, denn zeitgleich feiert der DGB nach Sternmarsch und Kundgebung sein 1.-Mai-Fest auf dem Klagesmarkt. „Wir wollen nicht, dass die Nazis durch Hannover laufen, und wir werden gemeinsam mit vielen anderen alles dafür tun, dass ihnen das nicht gelingt“, sagt DGB-Regionschef Wertmüller (siehe Interview).
Ein breites Bündnis, zu dem auch Kirchen und Parteien gehören, organisiert seit Wochen den Protest gegen den Aufmarsch der Neonazis. Dazu gehört auch die Idee, die Rechtsextremen auf ihrer Route durch die Stadt einzukesseln.
Bei allen Vorbereitungstreffen werden die Teilnehmer auf das Prinzip Gewaltfreiheit eingeschworen. Diejenigen, die aus Hannover kommen, wollen sich nach NP-Informationen daran halten. kig
DGB: „Provokation für die ganze Stadt“
Ein breites Bündnis gegen Rechts zum 1. Mai ist das Ziel: DGB-Regionschef Sebastian Wertmüller (48) im NP-Interview.
Neonazis und NPD werben inzwischen bundesweit um Teilnahme für ihre Mai-Demo in Hannover. Macht Ihnen das Sorge?
Wir befürchten, dass am 1. Mai mehr als 1000 gewaltbereite Nazis nach Hannover kommen werden. Kenner der Szene gehen sogar von 1500 rechtsextremen Demonstranten aus. Das ist eine Provokation nicht nur für die Gewerkschaften, sondern für die ganze Stadt.
Warum haben sich die Neonazis ausgerechnet Hannover ausgesucht?
Man könnte annehmen, dass sie eine der größten Mai-Kundgebungen Deutschlands stören wollen. Tatsächlich ziehen sie gegen eine liberale integrationswillige Stadt zu Felde. Deswegen haben sie vor, sogar durch Linden zu ziehen.
Die Demonstrationsrouten von Gewerkschaften und Neonazis werden sich wahrscheinlich berühren. Rechnen Sie mit Gewalt?
Die Nazi-Szene ist immer gewaltbereiter geworden, Am 1. Mai 2008 in Hamburg haben sie auch Polizisten und Journalisten angegriffen. Ein breites Bündnis in der Stadt Hannover organisiert heute schon Gegenproteste, und wir werden alles unternehmen, damit es nicht zu Ausschreitungen kommt.
Der 1. Mai auf dem Klagesmarkt ist ein Familienfest. Wie sehr wird das beeinträchtigt?
Keiner muss Sorgen haben, wenn er zu unserem 1.-Mai-Fest kommt. Unsere Demonstration und unser Fest werden garantiert gewaltfrei bleiben. Dabei wollen viele helfen. Das wird nicht nur der 1. Mai der Gewerkschaften sein, sondern ein Zeichen von gelebter Demokratie in dieser Stadt. Deswegen geht es auf dem Klagesmarkt auch um Themen wie soziale Gerechtigkeit und friedliches Zusammenleben.
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