Gemeinsame Präambel des linksradikalen Bündnisses gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai
Aufmärsche der Rechten sind immer unerträglich. Daher mag es müßig erscheinen, dem Aufruf der Faschist_innen
zur Großdemonstration am 1. Mai in Hannover eine besondere
Widerlichkeit zu attestieren. Und doch kann angesichts der offen
nationalsozialistischen Hetze der immer gewalttätigeren Naziszene nicht
entschlossen genug zur Gegenwehr aufgerufen werden – gerade jetzt: Die
Nazis versuchen, die soziale Frage aufzugreifen und dabei Ängste zu
schüren, um ihre völkische Ideologie als vermeintliches Gegenmodell zum
Kapitalismus zu propagieren. Diesem Ansinnen darf nicht tatenlos
zugesehen werden. Inhaltlich ist den Nazis neben der Bedeutung des 1.
Mai als Tag einer emanzipatorischen Linken eine radikale Analyse
entgegenzusetzen. Diese findet ihren Ausdruck in einer politischen
Praxis für eine befreite Gesellschaft. Daneben muss es uns jedoch auch
um die kurzfristige Vereitelung des Ziels der Kameradschaften und der
NPD gehen, den "Kampf um die Straße" zu gewinnen. Menschenverachtende
Weltanschauungen dürfen keinen Platz haben – weder auf der Straße noch
sonstwo! Wir unterstützen daher die Aufrufe zu Massenblockaden,
angelehnt an die Aktionen zur Verhinderung des
Antiislamisierungskongresses in Köln. Dabei betonen wir aber auch, dass
es viele legitime Formen des Widerstandes gibt. Wenn Protest gegen
einen Naziaufmarsch letztlich als vermeintlicher Beweis für die "Reife
der deutschen Demokratie" oder die "Weltoffenheit der Stadt Hannover"
abgefeiert werden soll, müssen wir dem deutlich widersprechen. Wo der
Anti-Nazi-Konsens zur Standortpolitik verkommt, ist es notwendig, den
Standort selbst als das zu kritisieren, was er ist: Ein Land mit
rassistischen Sondergesetzen, repressivem Sicherheitsapparat und
sozialen Gegensätzen. Dass in diesem Land auch Nazis marschieren können
zeigt: Nicht alles, was legal ist, ist legitim. Schon Protestformen wie
Ziviler Ungehorsam zeigen: Nicht alles, was legitim ist, ist legal.
Wenn drei sich streiten
Auch beim Aufmarsch in Hannover werden – wie bei allen
Naziaktivitäten, bei denen mit Widerstand zu rechnen ist – staatliche
Repressionsmaßnahmen uns mehr und nachhaltiger Sorgen bereiten, als
zugereiste Faschist_innen.
Während diese sich auch in Hannover und trotz ihrer großmäuligen
Militanzankündigungen Polizeimaßnahmen in ihrem Sinne sicher sein
können, sieht sich der antifaschistische Widerstand an diesem Tag
einmal mehr dem Doppelproblem Nazis und Bullen gegenüber. Während die
Nazis im besten Fall nach Hause geschickt werden, sehen sich
Antifaschist_innen bundesweit und regelmäßig Belästigungen,
Verhaftungen und Polizeibrutalität ausgesetzt. Dies steht keineswegs im
Widerspruch damit, dass aufrechte Demokrat_innen,
Oberbürgermeister_innen und Polizeipräsident_innen ihren ehrlich
gemeinten Widerwillen gegen "Rechtsextreme" äußern. Auch wenn, wie wir
erklären werden, die faschistische Ideologie zum Kapitalismus gehört,
wie Ketchup zu Pommes, stellen Nazis für das bürgerliche Lager ein
Image- und Sicherheitsproblem dar. In der Frontstellung gegen uns, die
wir den Gesamtzusammenhang bekämpfen, sehen sich diese Kräfte jedoch in
unverhofftem Schulterschluss.
Von Faschist_innen und aufrechten Demokrat_innen
Dieser Schulterschluss wird immer dann vollzogen, wenn bürgerliche
Politiker_innen, Medien und die Zivilgesellschaft in Sachen
"Ausländerkriminalität", "Asylantenproblematik" und
Standortnationalismus als Stichwortgeber für die Nazis fungieren. Als
Beispiel sei hier auf den mordbrennenden Mob Anfang der 90er verwiesen.
Während Asylsuchende verbrannten, lieferte das Parlament rhetorische
Rückendeckung und Grundgesetzänderungen. Vermeintlich
"antirassistische" Initiativen aus der vielzitierten "Mitte der
Gesellschaft" (re-)produzieren in ihrer exotisierenden Konstruktion des
Anderen einen Ethnopluralismus. Das bedeutet jenen Rassismus, an den
die Nazis nicht anknüpfen, sondern den sie lediglich schärfer
formulieren müssen. In der hochgehaltenen "Toleranz" wird die
vermeintliche Andersartigkeit bestimmter Menschen erst konstruiert und
dann konserviert – nichts anderes passiert beim von der NPD
organisierten "Fest der Völker". Dies ist keine neumodische Erscheinung
("Fest der Völker" hieß bereits der 1938 erschienene Olympia-Film von
Riefenstahl) oder, wie so oft unterstellt, als eine "Taktik" von
Faschist_innen zu verstehen, sondern ist bezeichnend für das Verhältnis
von bürgerlichen Kräften und Faschisten. Wer also meint, den Nazis ein
schmissiges "Bunt statt braun" entgegenwerfen zu können, rennt in
Wirklichkeit offene Türen ein.
Leider ist das Missverständnis um rassistische Konstruktion nicht
das einzige Problem bürgerlicher Antifaschist_innen. Auffallend selten
und auffallend schwach wird aus diesem Spektrum argumentiert, wenn
Parolen wie "Arbeit zuerst für Deutsche" oder "Ich bin stolz, deutsch
zu sein" auseinandergenommen werden sollen.
Die Realität in der wir leben, richtet die Menschen übel zu.
Eingeteilt in Staaten und Nationen ist jeder Mensch des Anderen
Konkurrent_in und damit Feind. Jede gesellschaftliche Bezugnahme ist
vermittelt durch ein warenförmiges Verhältnis: Was sich nicht in
Geldwert angeben lässt, muss hart um seine Anerkennung kämpfen und
bleibt immer zweitrangig. Zum Gelderwerb gezwungen ist ein wesentlicher
Teil der eigenen Tätigkeit, die eigene Lohnarbeit, subjektiv sinnlos.
Sie ist nur Mittel zum Zweck und oft genug uninteressante
Zeitverschwendung. Vereinzelt und verunsichert konkurriert jede_r mit
jede_m, um seine oder ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Das eigene Leben
folgt einer Logik, in der die Bedürfnisse einer Gewalt unterworfen
sind, die am Ende sogar die Bedürfnisse selbst in Beschlag nimmt und
sie nach ihrer widersinnigen Logik verdreht.
Der ideologische Kitt aus Sexismus, Nationalismus, Rassismus und
Antisemitismus muss diese zerrissene Gesellschaft zusammenhalten. Diese
irrationale Idee ist der einzige Halt, den es in der nach Geld
bemessenen Welt geben kann. Volk und Nation verkörpern die Vorstellung
von "natürlicher" Gemeinschaft, welche die Widersprüche verleugnet und,
um als Gemeinschaft gelten zu können, das Außen braucht. Als scheinbar
naturgegeben verinnerlicht, ist nicht nur die Ausbeutung der
Arbeitskraft, sondern auch das demokratische Prinzip. In seiner Wahl
zwischen Pest und Cholera lässt es dem Einzelnen "alle" Freiheiten.
Diese Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen erscheinen unveränderlich
und in perfider Art und Weise legitim. Die rassistische Konstruktion
des "Volkes" und das antisemitische Ressentiment liefern die
argumentative Schützenhilfe, um die bestehenden Ungleichheiten zu
rechtfertigen. Wer nun nach dem Volks- und Führerstaat ruft, wer
nachrechnet, dass "die Ausländer" "uns" die Arbeitsplätze wegnehmen,
folgt der bürgerlichen Ideologie, um weiterhin dem Widerspruch von
Kapital und Arbeit zu verleugnen. Um den Preis des letzten Restes
menschlicher Vernunft wird das zu Ende gedacht – und viel zu häufig in
die Tat umgesetzt – was als herrschaftssichernde Maßnahme bürgerliche
Propaganda ist. In vollständiger Verkennung der Tatsachen muss das
Irrationale in blinder Praxis wahr gemacht werden, um nicht das Letzte
zu verlieren, was der vereinzelte Mensch in dieser Welt noch hat –
seine Nation. Dies ist eine Möglichkeit ideologischer Praxis, die der
Kapitalismus, die die bürgerliche Gesellschaft selbst hervorbringt. Und
so dramatisch die Unterschiede sind, die dieses System produziert, so
grausam gleich ist der Zwang, dem alle unterliegen und den alle
reproduzieren – die Möglichkeit der faschistischen Ideologie ist kein
Schicht- oder Klassenproblem.
Diese Verhältnisse, die es Menschen plausibel erscheinen lassen,
der bürgerlichen Ideologie ihre barbarische Spitze aufzusetzen, müssen
nicht nur der Nazis wegen überwunden werden. Entgegen allem Anschein
ist die Gesellschaft, in der wir leben, eine menschengemachte und kann
von uns verändert werden. Wir kämpfen für eine Gesellschaft ohne
Lohnarbeit, Nation und Unterdrückung. Als Antifaschist_innen bekämpfen
wir mit den Nazis ein besonders widerwärtiges Produkt der bürgerlichen
Gesellschaft. Ausgehend von dem Wissen um den Zusammenhang stellen wir
uns am 1. Mai 2009 den Nazis entgegen. Der Naziaufmarsch wird von uns
verhindert werden, ob wir uns an den Blockaden des
Auftaktkundgebungsortes beteiligen oder andere Formen des Widerstandes
wählen.
Unsere Parole heißt blockieren, sabotieren, eskalieren!
Den Naziaufmarsch am 1. Mai verhindern – so oder so!
Antifaschistische Aktion Hannover [AAH]