Zum Beispiel Wunstorf: Seit dem Überfall auf Besucher eines linken Jugendzentrums Mitte März gilt die Stadt als Heimat von gewaltbereiten Neonazis. Doch auch in anderen Orten der Region beobachtet die Polizei zunehmende Aktivitäten von Rechtsextremisten.
VON TOBIAS MORCHNER
Den Offiziellen ist das Thema unangenehm. "Mir wäre lieber, die Öffentlichkeit würde unsere Stadt mit anderen Dingen in Verbindung bringen", sagt Wunstorfs stellvertretender Bürgermeister Felix Becker. Doch seit den Vorfällen in der Nähe des linken Jugendzentrums "Wohnwelt" muss er sich immer wieder den Fragen zum Neonazi-Problem in seiner Stadt stellen.
Am 15. März hatten etwa 20 Rechtsradikale eine 19-jährige Besucherin der "Wohnwelt" und ihren 21-jährigen Begleiter durch Schläge und Tritte verletzt. Der mutmaßliche Haupttäter Marco S. (27), ein wegen Körperverletzung und Beleidigung schon einmal zu 14 Monaten Haft verurteilter Aktivist der Neonazi-Szene, sitzt deshalb in Untersuchungshaft. Die Schläger sollen zuvor an einer Geburtstagsfeier in einem anderen Jugendzentrum teilgenommen haben. Zu der Party hatte ein Mitglied der vor einem halben Jahr gegründeten rechtsextremen Autonomen Nationalisten Wunstorf eingeladen.
Anhänger dieser Gruppe sorgen seit einiger Zeit für Unruhe unter den 41 000 Einwohnern. So sprühten sie im Februar am Rathaus und an einer Schule den Namen "Horst Wessel" an Wände und veranstalteten Schulungsabende unter dem Motto: "Wir reden nicht mit Bullen".
Nach dem Angriff der Rechtsextremen sieht sich die Stadtverwaltung mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht genügend gegen die Neonazis getan zu haben. Becker weist dies zurück. "Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind", beteuert er. "Wir werden versuchen, die Jugendlichen aus diesem Umfeld anzusprechen", kündigt er an. Die Stadt sieht er jedoch nicht allein in der Pflicht: "In erster Linie sind Polizei und Justiz gefragt."
Deren Vertreter halten die öffentliche Aufmerksamkeit im Moment für größer als die Schlagkraft der Gruppe. Die Autonomen Nationalisten bestünden in Wunstorf zurzeit lediglich aus fünf Personen und rund zehn Sympathisanten, erklärt Frank Lochte, Leiter des Fachkommissariats Rechts- und Linksextremismus der Polizeidirektion Hannover. "Die Gruppe hat keine festen Strukturen. Es gibt lediglich die Internetseite und hin und wieder ein paar spontane Aktionen", sagt der Beamte.
In Antifa-Kreisen wird diese Einschätzung der Polizei allerdings stark angezweifelt. "Die Mitglieder der Autonomen Nationalisten kleiden sich ganz bewusst im Stil der Linken, also zum Beispiel mit Che-Guevara-T-Shirt und Palästinensertuch. Man kann die beiden Gruppen äußerlich kaum auseinanderhalten", so ein Kenner der Szene. Er glaubt, dass die Wunstorfer Neonazis über gute Verbindungen zu Gleichgesinnten der Nationalen Offensive Schaumburg unterhalten. Mitglieder dieser militanten Neonazigruppierung waren in der Vergangenheit immer wieder durch extreme Gewalttaten aufgefallen. Doch nicht nur in Wunstorf existiert eine aktive wachsende Neonazi-Szene. Egal ob in Langenhagen, Misburg oder Barsinghausen – regelmäßig ermittelt die Polizei gegen Personen aus dem rechten Lager. "Insgesamt stellen wir aber fest, dass es bei uns noch lange nicht so schlimm ist wie beispielsweise in Verden oder im Harz", sagt Frank Lochte.
In Seelze-Dedensen dient die Gaststätte "Zum Deutschen Hause" jedoch seit Jahren Mitgliedern der NPD sowie militanten Neonazi-Gruppierungen als Treffpunkt. Dort soll auch mehrfach der "Stammtisch Nationaler Kräfte" zusammengekommen sein. Die Treffen von den "Freien Nationalisten" dienen der Vernetzung der Neonazi-Aktivisten. Bei den Stammtischen, zu denen durchschnittlich 50 bis 100 Teilnehmer anreisen, gibt es Vorträge und Diskussionsrunden, teilweise "mit Musikbegleitung", wie es in der Szene heißt.
So soll unter anderem die "nationale Liedermacherin" Annett Müller in Dedensen aufgetreten sein. "Die letzten zwei Veranstaltungen, die in Gaststätten in der List und in Buchholz geplant waren, mussten jedoch vorzeitig beendet werden, weil die Wirtsleute etwas bemerkt und die Polizei informiert hatten", erinnert sich Lochte.
In Hannover verhält sich die Neonazi-Szene nach Darstellung der Ermittler zurzeit ruhig. Die Polizei registrierte in den vergangenen Monaten weder Konzerte der Rechtsrockbands Nordfront, Territorium oder Division Wiking, deren Mitglieder in der Landeshauptstadt gemeldet sind, noch irgendwelche Aktionen der Autonomen Nationalisten Hannover. Möglicherweise wollen die Rechtsradikalen vor der geplanten Demonstration am 1.-Mai die Aufmerksamkeit der Ermittler nicht auf sich lenken.
1000 Neonazis werden sich am Tag der Arbeit auf dem zentralen Omnibusbahnhof treffen – vorausgesetzt, die Organisatoren gewinnen den Rechtsstreit, der vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist. Polizeipräsident Uwe Binias hatte den Aufmarsch verboten. Es sei nicht absehbar, dass man für den Einsatz genügend Einsatzkräfte zur Verfügung hat, argumentiert er. Deshalb sei eine Situation mit gewalttätigen Ausschreitungen, wie es sie bei der Neonazi-Kundgebung vor einem Jahr in Hamburg gegeben habe, "nicht beherrschbar", so die Begründung des Beamten.
Die Einschätzung teilt ein Aussteiger aus Hannovers rechter Szene. Der ehemalige Anführer der Autonomen Nationalisten Hannover, der 22 Jahre alte Kai B., der unter anderem an den Ausschreitungen vor der Diskothek "Scum-Club" beteiligt war, wo es im vergangenen Jahr zu Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und linken Demonstranten gekommen war, hatte sich im Dezember 2008 von seinen ehemaligen Kameraden abgewandt. In einem Interview mit der Tageszeitung "taz" beschreibt er die Gewaltbereitschaft der Autonomen Nationalisten so: "Die wollen zuschlagen, Respekt vor der Antifa hat da keiner, auch nicht vor der Polizei." B. ist auch bei der 1.-Mai-Demonstration vor einem Jahr in Hamburg dabei gewesen: "Hamburg war eine Initialzündung", erklärt er – und prognostiziert Alarmierendes für Hannover: "Das soll DER Event für die Kameraden werden", glaubt der Aussteiger.
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