In Hamburg lieferten sich Neonazis und Gegner am 1. Mai 2008 Straßenschlachten – das soll sich in Hannover nicht wiederholen
VON KARL DOELEKE
Am Tag eins, nachdem "der Mob sich ausgetobt" hatte, steckte Hamburgs Polizeipräsident Werner Jantosch der Schreck noch immer sichtlich in den Gliedern. Der oberste Ordnungshüter, der nach dem 1. Mai 2008 sogar davon sprach, dass es Tote hätte geben können, machte gar keinen Hehl daraus, dass er mit einer solchen Orgie der Gewalt nicht gerechnet hatte. In Hannover will die Polizei mit ihrem Verbot der für den bevorstehenden 1. Mai angemeldeten Nazi-Demonstration derartige Konfrontationen verhindern. Das Verwaltungsgericht hat das Verbot am Freitag bestätigt – ausdrücklich mit Verweis auf die Krawalle von Hamburg. Erwartet wird allerdings, dass die Neonazis vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen werden.
Vor einem Jahr hatten Hunderte von Rechtsextremisten und linken Gegendemonstranten den alten Hamburger Arbeiterstadtteil Barmbek zum 1. Mai in ein Schlachtfeld verwandelt: Sie hatten nicht nur aufeinander eingeprügelt, sondern auch Passanten niedergeschlagen, Linienbusse attackiert, Autos und Barrikaden in Brand gesetzt und Schaufenster zertrümmert. Die Polizei, die schon im Vorfeld Erkenntnisse über mögliche Ausschreitungen hatte, brauchte lange, um die Ordnung auf Hamburgs Straßen wiederherzustellen.
Am 1. Mai vor einem Jahr waren mit höchstrichterlichem Segen 1500 Rechtsradikale und 10 000 Gegendemonstranten in Barmbek aufeinandergetroffen. Einige Hundert auf beiden Seiten lieferten sich Straßenschlachten bis zum nächsten Morgen. Angemeldet hatte den Aufmarsch der Rechten Dennis Bührig aus Celle, der auch in diesem Jahr in Hannover mit seinem braunen Trupp marschieren will. Bundesweit hatten daraufhin linke Gruppen zu einer Gegendemonstration gerufen. Das Szenario im Vorfeld erinnert stark an das, was Rechte und Linke in diesem Jahr in Hannover planen. "Hoffentlich hat die Polizei die richtigen Lehren aus dem Jahr 2008 gezogen", sagt der Innenexperte der Hamburger SPD, Andreas Dressel, mit Blick auf den diesjährigen 1. Mai. Denn es wurden in Hamburg einige Fehler gemacht, die aber nicht alle in die Verantwortung der Innenbehörde fallen.
Der damalige Senator Udo Nagel (parteilos) und sein Polizeipräsident hatten mit denselben Problemen zu kämpfen, die Hannovers Polizeipräsident Uwe Binias in diesem Jahr dazu veranlasst haben, den "polizeilichen Notstand" auszurufen: Am 1. Mai stehen bundesweit nicht genügend Einsatzkräfte bereit, um die landesweiten Großdemonstrationen zu begleiten.
In Hannover hat Binias den Aufmarsch der Rechten mit Verweis auf die knappen Einsatzkräfte verboten. In Hamburg hatte man das auch erwogen – und dann verworfen: Der "polizeiliche Notstand" löse nicht die anstehenden Probleme, erläuterte später ein Senatsvertreter die Entscheidung im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Der Aufzug hätte, so die Einschätzung, trotz des Verbots stattgefunden, denn es hindere die Rechten nicht daran, "trotzdem zu kommen". Darüber hinausgehende Verbotsgründe konnte der Senat eigenen Angaben zufolge nicht finden.
Hamburgs Polizeipräsident Jantosch hatte stattdessen auf strikte Trennung der Demonstrationsrouten und ein größtmögliches Polizeiaufgebot gebaut – und sich in beiden Fällen verkalkuliert: Zehn Hundertschaften hatte Jantosch in anderen Bundesländern angefordert. Am Ende bekam er nur vier aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, dazu zwei Einheiten der Bundespolizei. 2435 Polizisten standen mehr als 10 000 Demonstranten gegenüber.
Im Innenausschuss wollte die Opposition später wissen, ob der Senat eindringlich genug bei den anderen Ländern um Einsatzkräfte geworben habe – er hat es gar nicht erst versucht, da "klar ersichtlich" gewesen sei, dass es den anderen Bundesländern "nicht möglich" gewesen sei, weitere Polizisten zur Verfügung zu stellen, räumten Behördenvertreter ein.
Im vergangenen Jahr fiel auf den 1. Mai zugleich der "Vatertag", zudem hatten Rechte und Linke wie in diesem Jahr auch in anderen Städten Kundgebungen angekündigt. Innenexperte Dressel fordert daher für die Zukunft: "Bis zum letzten Abend müssen Polizei und Verfassungsschutz die Lage so aufklären, dass Einheiten zwischen den Ländern noch kurzfristig verschoben werden können."
Stärkere Kritik mussten die Polizei, aber auch das Hanseatische Oberverwaltungsgericht (OVG) für die Routenführung beider Demonstrationen einstecken: Die Polizei hatte zur Auflage gemacht, dass beide Demonstrationszüge sich nicht kreuzen durften. Das OVG hob die räumliche Trennung wenige Stunden vor Beginn der Kundgebungen auf – mit Verweis darauf, dass Demonstrationen in Sicht- und Hörweite der Adressaten stattfinden müssen (so steht es auch im damals bereits ausformulierten schwarzgrünen Koalitionsvertrag). Selbst Hamburgs grüne Innenexpertin Antje Möller glaubt ein Jahr später: "Ich nehme an, die Frage, wo welche Route genehmigt wird, würde man heute anders beantworten."
Für den Beschluss erntet das OVG noch heute Unverständnis. Die Richter allerdings wiesen schon vor einem Jahr die Kritik zurück: Die Polizei habe es versäumt, konkrete Erkenntnisse darüber vorzulegen, dass ein "relevanter Teil" der Gegendemonstranten den Aufmarsch der Rechten blockieren könnte. Im Innenausschuss im vergangenen Juli wies die Innenbehörde das zurück: Schließlich habe der Tenor der Gegendemonstration "Den Nazis keinen Meter" gelautet, was schon allein auf die Blockadeabsicht hingedeutet habe.
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